“Der arme Hund… den müsst ihr doch aufnehmen!”
Kommentare wie diesen lesen wir immer wieder unter unseren Posts. Bilder halb verhungerter, blutender und kranker Hunde erregen schnell Mitleid und jeder möchte, dass dem armen Tier geholfen wird. In vielen Fällen haben wir bereits geholfen, haben gefüttert, Unterstände gebaut, Wunden versorgt, kastriert und Krankheiten behandelt. Immer wieder finden wir Hunde und Katzen, die in so schlechtem Zustand sind, dass sie auf der Straße keine Überlebenschance haben. Diese Tiere nehmen wir mit und bringen sie in die Klinik.Aber aufgenommen haben wir diese Tiere dann noch nicht. Ja, sie werden behandelt, ihre Schmerzen gelindert, sie bekommen Medikamente und täglich nahrhaftes Futter.
Aber ihre Zukunft ist ungewiss. Die meisten Tiere gehen nach der Behandlung, wenn ihr Zustand sich stabilisiert und verbessert hat, zurück an ihre Stammplätze. Und da geht der Aufschrei durch die Massen, Hasskommentare flattern in unser Postfach, in denen uns vorgeworfen wird, dies sei kein Tierschutz und wir wären grausam.Auch für uns ist dies keine leichte Entscheidung, meist bringen wir die Tiere unter Tränen zurück. Wir würden gerne jedes Tier aufnehmen, aber es ist einfach nicht möglich. Unter Vermittlungsaufrufen liest man oft: „ich würde ihn ja gerne adoptieren. ABER…."
Und diese ABER sind verständlich, denn auch in Deutschland überlegt sich jeder, ob er einem Tier gerecht werden kann und finanziell in der Lage ist, für es zu sorgen. Sonst hätte doch jeder 3-10 Hunde bei sich zuhause. Und genau die gleichen Überlegungen haben wir auch. Wir haben bereits über 100 Tiere, für die wir Verantwortung tragen. Sie sollen möglichst artgerecht gehalten werden, sie wünschen sich Aufmerksamkeit und Zuwendung. Auf jeder der beiden Station arbeitet eine Person, die alleine jeweils über 50 Tiere versorgt und sich mit ihnen beschäftigt.Gerne möchten wir hier einmal genauer erläutern, welche Gründe uns dazu veranlassen, die Tiere zurückzubringen:
1. Begrenzte Ressourcen
Wir sind ein kleiner Verein, der ausschließlich von Spenden lebt. In der Türkei bekommen wir keinerlei Hilfen oder öffentliche Gelder. Wir finanzieren unsere Arbeit über Patenschaften, Spenden und Fundraising. Der Unterhalt unserer Tiere kostet jeden Monat unvorstellbare Summen: Futter, Medikamente, Energie- und Wasserkosten, Instandhaltung der Anlagen, Gehalt für die beiden Mitarbeiter vor Ort, Papiere für die Ausreise, Parasitenmittel, Impfungen, tiermedizinische Behandlungen… Die Liste ist endlos. Ein verletztes Tier braucht oft eine teure Operation, Nachversorgung, muss mehrere Wochen zur Genesung in der Klinik bleiben und uns erwartet dann eine Rechnung von mehreren hundert Euro, die wir nicht bezahlen können. Schon jetzt lassen sich die steigenden Kosten in den meisten Monaten nicht durch die Spenden decken. Aktuell können wir Notfällen nur Dank unseres Tierarztes helfen, der alle Behandlungen vorfinanziert und die wir dann mit den Spendenaufrufen später irgendwie abbezahlen. Unsere Schulden bei ihm sind immens.
2. Begrenzter Platz
Am Kitmirhaus gibt es sechs Hundegehege, ein Katzenfreigehege und ein Katzenzimmer in der Wohnung für die Jungkatzen. Darauf verteilt leben derzeit ca. 35 Hunde und ca. 15 Katzen. Auf Efkanja gibt es weitere Gehege, die ebenfalls alle voll sind mit ca. 50 Hunden und den neun Huftieren. Jedes Mal, wenn wir darüber nachdenken, ein Tier aufzunehmen, dem es besonders schlecht geht, müssen wir uns fragen: Wohin? Die Gehege sind belegt mit festen Gruppen aus Tieren, die gut miteinander auskommen. Ein neuer Mitbewohner kann dieses Gleichgewicht ins Wanken bringen, es kommt oftmals zu Beißereien und Stress für die Tiere. Ein freies Gehege gab es seit Jahren nicht mehr. Weitere Tiere haben wir bereits in verschiedenen Tierpensionen untergebracht, weil bei uns einfach kein Platz ist. Diese Tierpensionen kosten uns monatlich Geld. Die Tiere werden dort “verwahrt” bis bei uns ein Tier ausreist und ein Tier aus der Pension nachrücken kann.
3. Weniger Ausreisen
Während Corona gab es einen Haustierboom – immer mehr Leute entschieden sich für einen vierbeinigen Mitbewohner. Es ist allgemein bekannt das viele dieser “Corona-Haustiere” inzwischen wieder in deutschen Tierheimen gelandet sind. Dies hat auch Auswirkungen auf uns. Immer weniger Leute interessieren sich für ein Tier aus dem Ausland. Wir haben natürlich Verständnis dafür, dass viele Menschen sich für ein Tier aus einem Tierheim in der Nähe entscheiden und das ist auch gut so! Dennoch ist zu beachten, dass uns immer weniger Anfragen erreichen, in manchen Monaten reist kein einziges Tier aus, stattdessen kommen aber fünf neue Notfälle nach. Viele unserer Tiere hatten in mehreren Jahren ihres Aufenthalts bei uns keine einzige Anfrage.
4. Lange Aufenthaltszeiten in der Auffangstation
Wenige Anfragen heißt auch, dass viele Tiere lange bei uns bleiben – wir haben Hunde, die seit über 10 Jahren bei uns in einem Gehege sitzen. Insbesondere Kangals sind davon betroffen, viele unserer lieben, großartigen Herdenschutzhunde werden einfach nicht gesehen. Sie werden als Welpen aufgefunden, aufgenommen und verbringen dann ihr ganzes Leben bei uns. Das ist nicht schön für die Tiere. Sind 10 Jahre im Gehege besser als ein Leben auf der Straße in Freiheit, trotz all der Gefahren? Kein Tier möchte sein Leben lang in einem Gehege sitzen – dies ist einfach nicht artgerecht.
5. Feste Rudel und Gebiete
Viele Straßentiere leben seit Jahren an festen Plätzen und in etablierten Rudeln. Sie kommen auf der Straße gut zurecht, werden regelmäßig gefüttert und wenn nötig medizinisch versorgt. Indem wir sie an ihren Platz zurückbringen, überlassen wir sie also nicht achtlos ihrem Schicksal. Sie werden weiterhin besucht und beobachtet. Manche Hunde wollen auch mit Menschen einfach nichts zu tun haben und lieben ihre Freiheit – sie einzusperren wäre nur Tierquälerei.
Dies sind nur die fünf größten Gründe. Die Liste ließe sich noch viel weiter fortführen. Für Menschen, die in Deutschland in ihrem warmen, sicheren Häuschen sitzen, ist es leicht, unter einem Post zu kommentieren: “Nehmt den Hund auf!”, aber über die Konsequenzen sind die wenigsten sich bewusst. Wir übernehmen jeden Tag die Verantwortung für viele Lebewesen und wir sind an der Grenze dessen, was für uns möglich ist. Ulla und Efkan schuften sieben Tage die Woche für das Wohl der Tiere. Wir haben zehntausende Euro Tierarztschulden und über 100 Tiere in den Gehegen. Bevor ihr uns Vorwürfe macht, weil wir Tiere zurück an ihre Plätze bringen, nehmt euch bitte einen Augenblick Zeit, um das Gesamtbild zu betrachten. Es ist schwierig, auf Fotos und Videos den wirklichen Ernst der Lage und das Leid, das uns tagtäglich an jeder Straßenecke begegnet, realistisch abzubilden.
Wir erleben auch viele schöne Momente, aber leider ist Grausamkeit gegen Tiere in der Türkei an der Tagesordnung und dann werden wir gerufen, um das auszubügeln. Von den Städten und Gemeinden bekommen wir keine Hilfe, die gesamte Arbeit wird von ausländischen Vereinen und Einzeltierschützern vor Ort durchgeführt. Wir laden jeden von euch herzlich ein, in die Türkei zu reisen und euch selbst ein Bild zu machen. Ihr werdet an jeder Ecke Straßentiere finden. Vielleicht verliebt ihr euch in eine Streunerkatze oder eine erschöpfte Mutterhündin, kümmert euch, bringt sie zum Tierarzt und zahlt alles aus eigener Tasche. Denn Tierschutz kostet Zeit, Geld und ist aufwändig. Insbesondere in den Sommermonaten nehmen sich immer wieder tierliebe Menschen die Zeit, uns vor Ort zu besuchen und mit anzupacken. Das ist für uns eine wertvolle Hilfe und leistet nebenbei noch Aufklärungsarbeit – denn im Tierschutz kommt man nur gemeinsam weiter.